Die Vorläufer unseres Fahrtschreibers

von Wolfgang Baudach, in: Kienzle Blätter 6/1952, S. 2-5.

Das Gefühlstachometer

„Innerhalb geschlossener Ortsteile darf die Fahrgeschwindigkeit das Zeitmaß eines im gestreckten Trab befindlichen Pferdes – etwa 15 km in der Stunde – nicht überschreiten.“ Dieser schöne Satz steht in der Berliner Polizeiverordnung aus dem Kahre 1906. Wir lächeln heute darüber, daß man damals für einen Erlaß über die Geschwindigkeit der Kraftfahrzeuge auf den Vergleich mit dem Pferd angewiesen war. Ebenso wie man sonst von einem „Hafermotor“ spricht, könnte man hier das Pferd ein „Hafertachometer“ nennen. Aber auch heute noch wird die Geschwindigkeit vielfach „über den Daumen gepeilt“. Man braucht nur einmal einer Gerichtsverhandlung beiwohnen, dann weiß man über die Zuverlässigkeit des „Gefühlstachometers“ Bescheid. Wenn ein Fahrer behauptet, seine Geschwindigkeit habe höchstens 30 km/h betragen, so wird der von ihm angefahrene Fußgänger schwören, es seien mindestens 60 km/h gewesen.

So unglaublich es klingen mag – es gab zur Zeit der besagten Polizeiverordnung noch kein brauchbares Tachometer für Kraftfahrzeuge. Die Technik war damals noch nicht so weit. Die zunehmenden Geschwindigkeiten und die wachsende Zahl der Automobile machten die Geschwindigkeitsmessung dann aber absolut notwendig. Was uns besonders interessiert, ist die Tatsache, daß man von Anfang an einen schreibenden Geschwindigkeitsmesser forderte. Schon damals war man sich klar darüber, daß das schönste Tachometer nichts nutzt, wenn man im Ernstfall nicht damit beweisen kann, wie schnell man nun tatsächlich gefahren ist. Von 2 Preisausschreiben über die Geschwindigkeitsmessung aus der damaligen Zeit – sie stammten vom Mitteleuropäischen Automobilklub – forderte das eine schon eine Vorrichtung, welche die gefahrene Geschwindigkeit für einen Zeitraum von 24 Stunden dauernd erkennbar aufzeichnet. Es sollten freilich noch mehr als 2 Jahrzehnte vergehen, bis mit dem Kienzle-Tachografen ein Gerät geschaffen war, das diese Anforderungen in wirklich überzeugender Weise erfüllte. Bis dahin war die Aufzeichnung der Geschwindigkeit noch eine ungelöste Aufgabe.

 

Anfänge der Geschwindigkeitsmessung

Auf alten Wegweisern findet man ab und zu die Entfernung in Stunden angegeben, So unvollkommen diese Maßeinheit auch erscheinen mag – niemand nahm früher davon Notiz, daß der eine 4, der andere 6 km in der Stunde zurücklegt. Erst mit Aufkommen der modernen Verkehrsmittel wurde die Verschiedenheit der Geschwindigkeit zu einem wirklichen Problem, das nur durch exakte Registrierung zu bewältigen war.

Im Gegensatz zur Messung von Weg und Zeit drücken wir die Geschwindigkeit nicht durch eine einfache Maßeinheit wie Kilometer oder Stunden aus, sondern wir beziehen Weg und Zeit aufeinander: Geschwindigkeit ist die Dimension, die ausdrückt, in welcher Zeit ein bestimmter Weg zurückgelegt wird.

Im Altertum, als man noch Bruchteile von Sekunden messen konnte, begnügte man sich mit ungefähren Zeitangaben. Die Feststellung, daß Hannibal mit seinem Heer in 15 Tagen die Alpen überschritt, genügte damals noch, um den Zeitgenossen Bewunderung abzunötigen; heute würde allerdings jeder Schuljunge mitleidig die Achseln zucken, wenn man ihm nicht die genaue Durchschnittsgeschwindigkeit angeben könnte. Eine Vorrichtung zum Messen der Geschwindigkeit gab es erst viel später, als man mit Schiffen die größten Ozeane zu überqueren gelernt hatte. Na warf ein „Logbrett“ ins Wasser, das – verglichen mit der Schiffsgeschwindigkeit – als „fesrer Punkt“ zurückblieb. An ihm war die Logleine befestigt, die auf dem Schiff von einer Rolle ablief und durch Knoten gleichmäßig unterteilt wurde.. Mit dem Logglas, einer Sanduhr, stellte man fest, wieviel Knoten in einer bestimmten Zeit abliefen. So viele Seemeilen (1852 m) das Schiff in einer Stunde zurücklegte, so viel Knoten liefen während des Ganges der Sanduhr aus.

 

Ein Fahrtschreiber-Veteran

Die Geschwindigkeit wurde bei diesem sogenannten Log durch die Wiederholung eines bestimmten Vorgangs angezeigt. Man konnte nicht in jedem Augenblick feststellen, wie schnell das Schiff gerade fuhr. Auf ähnliche Weise arbeiteten auch die ersten Tachometer und Tachografen. Ein Eisenbahn-Tachograf von Tenne aus dem Jahr 1880 schrieb z.B. nur in bestimmten Zeitabständen – also etwa alle 30 Sekunden – jeweils einen senkrechten Strich, welcher die in diesem Augenblick gefahrene Geschwindigkeit angab. Die Endpunkte der Striche auf der Registriertrommel ergaben die Kurve der Fahrtgeschwindigkeit.

Dieses Gerät (Bild 2) enthält einen Elektromagneten B, dessen Stromkreis durch die Achse einer Lokomotive periodisch geschlossen und geöffnet wird. Dadurch wird die Drehung eines Schaltrades s bewirkt, das mit Hilfe von mehreren Walzen die Stange k und damit einen Schreibstift über dem vom Uhrwerk U gedrehten Registriertrommel E verstellt. Das Uhrwerk schließt auch periodisch den Stromkreis eines Elektromagneten A, dessen Anker die Walzen auseinanderzieht und dadurch die Stange k und den Schreistift in die Anfangsstellung zurückfallen läßt. Je nach der Geschwindigkeit des Fahrzeugs erfolgen in gleichen Zeitabschnitten mehr oder wendiger Schaltungen des Rades s, wodurch der Schreibstift größere oder geringere Aufwärtsbewegungen macht.

Bei der Eisenbahn wechseln die Geschwindigkeiten nicht so schnell und häufig wie beim Kraftfahrzeug. Bei diesem konnten deshalb solche Verfahren mit nur zeitweise eingeschalteten Zeigern oder Schreibstiften wenig nutzen.

 

Das erste Schwarzwälder Tachometer

Für das ständige Messen einer Fahrgeschwindigkeit haben sich dann 2 Methoden herauskristallisiert. Entweder man vergleicht die zu messende mit einer bekannten gleichförmigen Geschwindigkeit – z.B. dem Gang einer Uhr – oder man misst gewisse Kräfte, die sich mit der Fahrgeschwindigkeit ändern. Aus der Fülle der oft der komplizierten Konstruktionen für die erstgenannte Art sei hier eine ausgeführt (Bild 3), die uns besonders interessiert: der Geschwindigkeitsmesser von Dr. Junghans. Dr. Oskar Junghans hatte sich mit ganz besonderer Energie um die Ausbildung eines Reibradgetriebes für Zwecke der Geschwindigkeitsmessung bemüht.

Hierbei wird eine Planscheibe a vom Fahrzeug in Umdrehung versetzt. Eine kleine Reibrolle b, die sich wie eine Mutter auf einer Schraubenspindel c bewegen kann, wird gegen die Planscheibe gedrückt. Da die Achse der Schraubenspindel mit einem Uhrwerksgang verbunden ist, kann sie sich nur mit einer bestimmten Geschwindigkeit drehen. Damit wird die Reibrolle gezwungen, sich auf den Kreis der Planscheibe einzustellen, dessen Geschwindigkeit ihrer eigenen entspricht. Die Lage der Reibrolle hängt also von der Fahrtgeschwindigkeit ab. Je langsamer das Fahrzeug fährt, um so höher muß die Rolle steigen, umgekehrt sinkt sie, wenn die Fahrtgeschwindigkeit erhöht wird. Durch Kopplung mit einem Zeiger wird somit in einfacher Weise die wirkliche Momentangeschwindigkeit angezeigt. So einfach, ja genial das Verfahren ist, so schwierig ist die fertigungstechnische Lösung. Viel Mühe mußte Dr. Junghans aufbringen, bis die Reibrolle richtig arbeitete. Eine Weiterentwicklung sah übrigens auch eine Vorrichtung zum laufenden Aufschreiben der Geschwindigkeit vor.

So viel haben wir nun erkannt; so einfach es ist, die Länge einer Strecke mit einem Meßstab oder die Schwere eines Gegenstandes mit einem Gewicht zu messen, so schwierig ist es, eine Geschwindigkeit direkt zu messen! Entweder muß man Weg und Zeit messen und aus ihnen die Geschwindigkeit errechnen – wobei allerdings nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit herauskommt – oder muß man in einem Gerät die zu bestimmende mit einer bekannten Geschwindigkeit vergleichen.

Ein dritter Weg wurde bereits angedeutet. Man läßt bestimmte Kräfte, die sich in Abhängigkeit von der Fahrtgeschwindigkeit ändern, auf das Maßsystem wirken. So verwendeten viele Erfinder Pumpen, die von den Fahrzeugrädern angetrieben wurden, und die einen hydraulischen oder pneumatischen Druck erzeugten. Dieser Druck, der sich naturgemäß mit der Fahrgeschwindigkeit änderte, wirkte dann auf ein entsprechendes Anzeigesystem.

 

Die Lösung: das Fliehpendel

Auf die Zentrifugalkraft eines Fliehpendels wurde schon früh für die Zwecke der Geschwindigkeitsanzeige benutzt. Das Prinzip dieser Geräte ist in unserem Werk bekannt, wird es doch im Kienzle-Fahrtschreiber angewandt. Um eine Achse drehen sich Schwungmassen, die sich mit der wachsenden Drehzahl von ihr entfernen. Als Gegenkraft zur Fliehkraft der Schwungmassen dienen das Eigengewicht der Schwungmasse selbst oder Federn. Eines der ersten Tachometer dieser Art ist das abgebildete „Springfield-Motometer“ (Bild 4). Jeder von uns, der mit Tachografen zu tun hat, erkennt wahrscheinlich sofort einen Hauptmangel dieses alten Gerätes; jede Fahrerschütterung muß sich an den beiden Pendelgewichten so auswirken, daß sie nach unten oder obe geschleudert werden, wodurch natürlich eine genaue Anzeige unmöglich wird.

Eine Frage drängt sich uns jetzt auf: „Wenn das Fliehpendel eine so einfache Lösung der Aufgabe 'Geschwindigkeitsmessung' erlaubt, warum haben sich denn so zahlreiche Erfinder mit anderen, so ungeheuer komplizierten Verfahren abgemüht?“ Darauf wissen unsere Fahrtschreiber-Leute sicher sofort eine Antwort: „Weil der Fliehpendel-Geschwindigkeitsmesser so außerordentlich hohe Anforderungen an die Güte der Fabrikation stellt.“ Bei jeder Geschwindigkeitsänderung muß das Pendel erst den Reibungswiderstand in vielen Gelenken überwinden. Wenn die Anzeige also genau sein muß – man denke an eichfähige Geräte – und wenn, wie beim Fahrtschreiber, darüber hinaus auch noch Schreibkräfte aufgebracht werden sollen, dann müssen beste Oberflächengüten und genaue Passungen erreicht werden, und das ist eben in den früheren Zeiten nur unvollkommen möglich gewesen.

 

Das Autotagebuch

Der moderne, mit einem Fliehpendel arbeitende Tachograf hat seine eigene Geschichte. Wenn wir uns einmal das Gesicht oder das Innere des ersten „Tachograf Kienzle“ (Bilder 1 und 5) aus dem Jahr 1928 ansehen, erkennen wir die spätere Weiterentwicklung zu unserem heutigen Fahrtschreiber klar. Besonders auffallend an dem alten Modell ist die Anzeige der Geschwindigkeit durch einen Blechring, dem die Geschwindigkeitszahlen aufgedruckt sind. Durch einen langen Hebel, der am freien Ende einen Stift trug, wurde dieser Ring so gedreht, daß die momentane Geschwindigkeit im Fenster hinter dem weißen Pfeil erschien. Wiviel Mühe man sich schon damals gab, die Anzeigegenauigkeit möglichst groß zu machen, zeigt die sinnreiche Ausbildung des Warenkontaktes. Durch das im Bild erkennbare Zahnrad wurde der walzenförmige Kontakt ständig gedreht, um die schädliche Reibung klein zu halten.

Die Entwicklung von technische Apparaten ist immer ein langer Weg. Zäh wird um jede Verbesserung gerungen, erst iher Vielzahl macht das Gerät vollkommen. Gerade bei schreibenden Meßinstrumenten für den Kraftwagenbetrieb gelten nun besonders schwierige Bedingungen. Nicht nur die Fahrerschütterungen erfordern Maßnahmen, die bei ortsfesten Instrumenten unnötig sind, sondern auch die Bedienung durch den Fahrer setzt eine einfache Handhabnung voraus. Wer heute die runde Wachspapierscheibe in der Hand hält, der denkt nicht daran, daß man noch vor nicht allzu langer Zeit sich mit rußendem Papier rumärgern mußte.

Die Geschichte des Tachografen wäre unvollkommen geschildert, würde nicht darauf verwiesen, daß auch der Gebrauch des Gerätes – und hier vor allem des Kienzle-Fahrtschreibers – im Laufe der Jahre eine Wandlung durchgemacht hat. Zunächst nur als Kontrollgerät für die eingehaltenen Geschwindigkeiten gedacht, hat es sich mehr und mehr zu einem Instrument für die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit entwickelt. Der von Dr. Herbert Kienzle im Jahr 1934 erfundene Wechselzähler, der die kostspieligen Ungleichförmigkeiten einer Fahrweise mechanisch ermittelt, hat in dieser Hinsicht ganz besondere Bedeutung.

Durch die zusätzliche Aufzeichnungen der Wegstrecke und er Fahr- und Haltezeiten ist unser Gerät über die eigentliche Aufgabe eines Tachografen, also eines Geschwindigkeitsschreibers hinausgewachsen und zum automatischen Autotagebuch geworden. Alles, was von einer Fahrt wissenswert ist, wird von diesem Gerät aufgeschrieben. Unser Fahrtschreiber, und besonders der neue TCO 8, darf also schon mit einem gewissen Selbstgefühl auf eine unvollkommenen Vorläufer herabsehen.

 

Kienzle-Fahrtschreiber 1928
Kienzle-Fahrtschreiber 1928
Eisenbahn-Tachograf von Tenne
Eisenbahn-Tachograf von Tenne
Junghans-Tachometer
Junghans-Tachometer
Springfield-Motometer
Springfield-Motometer
Kienzle-Tachograf (1928) geöffnet
Kienzle-Tachograf (1928) geöffnet